Der goldene Hecht

Literarisches & Kulinarisches von Anglern für Angler

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Garnele
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Der goldene Hecht

Beitrag von Garnele » 04 Dez 2005 23:18

...diesmal hatte ich wirklich an alles gedacht. Die Thermoskanne hatte zwar bedenklich geklickt, als ich sie gegen 04:30 Uhr mit fertiggezuckertem und durch Trockenmilch (Plastikkuh) leicht erhelltem Ostfriesentee füllte, schien aber trotzdem noch gut zu funktionieren. Eine Ewigkeit - von Dienstag bis Samstag - hatte ich diesem Tag entgegengefiebert, wie es wahrscheinlich nur Angler können.
Bereits am Mittwochabend waren meine Teleskopruten fertig montiert. 35er Schnur, Hechtpose und Stahlvorfach mit Doppeldrilling. Eine langerprobte und für gut befundene Montage.
Beim Einpacken der Angelsachen war mir mit meinen beiden Hosen, den beiden Pullovern, meinem Thermo-Hemd und den alten Bundeswehrstiefeln, in denen sich außer meinen Füßen noch 2 Paare dicke Socken befanden doch reichlich warm.
Draußen war es dagegen eisig kalt. Kein Wunder - das hat der frühe Dezember nun mal so an sich.
Schnell waren die Sachen im Auto verstaut und die Müdigkeit in meinem Gesicht hatte sich in ein erwartungsvolles, zufriedenes Lächeln verwandelt. Nur noch ins Auto und... ich Dussel!
Beinahe hätte ich die Brote und den Tee auf dem Küchentisch liegen lassen. Blitzschnell rannte ich noch einmal ins Haus zurück und kurz darauf waren meine Siebensachen endlich komplett.
Rooaaar...! Mit einem lauten Seufzer zeigte der alte Golf Diesel seinen Unwillen über die frühe Störung, parierte dann aber doch jeden meiner Befehle.

Um 05.20 Uhr hatte ich dann endlich mein Ziel erreicht. Es war der Abelitz-Moor-Kanal. Zwangsläufig wurde ich in diesem Moment noch einmal an meinen Spezial-Zander-Killer erinnert, einen Mepps-Spinner mit gelbem Twisterschwanz, den ich vor drei Wochen unter der Steinbrücke ganz in der Nähe bei einem mächtigen Hänger verloren hatte. Aber selbst dieses bittere Ereignis konnte meine Stimmung jetzt nicht trüben. Außerdem lag die Spinnrute eh` zuhause. Heute war Grundangeln dran.

Helmut wäre heute sicher gerne dabei gewesen. Er ist auch leidenschaftlicher Angler. Das Gute an Helmut war, dass er einen Teich auf einem großen Stück Land gepachtet hatte. Dort ging ich öfter mal hin, um meine alten Brotreste loszuwerden. Hätte er mich gestern beobachtet, dann hätte er sich wahrscheinlich gefragt, wozu man beim Fische füttern ein Senknetz benötigt?!

Jedenfalls... ich fing an, meine Sachen auszupacken und nach etwa zwanzig Minuten waren die Rotaugen (mein Lieblings-Hechtköder) abgeschlagen, durch eine Spritze mit verdünntem Lockstoffkonzentrat präpariert und jeweils mit zwei Drillingshaken versehen.
Die Angeln wurden in die selbstgebastelten Rutenhalter gestellt, die ich bereits in der Erde verankert hatte.
Jetzt wurden die Köder direkt an der Rutenspitze heruntergelassen, und die Angelschnur mit einem Schnurclip an der Rute fixiert. Die toten Rotaugen hätten ihre liebe Mühe, die Schnur aus dem Clip zu ziehen. Esox (der Hecht) hingegen würde es wahrscheinlich nicht einmal merken, wenn er gierig meinen Köderfisch attackiert, um viel zu spät zu bemerken, dass er gerade dabei ist, mir den Tag zu versüßen.
Meine Hechtposen waren in der frühen Dunkelheit nur schwer zu erkennen, aber der Schnurclip würde mir problemlos jeden Biss verraten.

Jetzt hieß es warten! Meine Hände hatten sich mittlerweile leicht verfärbt, und ich muss ausgesehen haben wie Reinhold Messner in 7000m Höhe, nur dass ich keinen Bart hatte. Wie soll man auch mit Handschuhen seine Angeln fertig machen. Der Tee tat aber schon bald seine Wirkung und ich hatte mich schnell wieder aufgewärmt.
Langsam erwachte der Tag. Ganz in der Nähe war plötzlich ein lautes Plätschern zu hören. War da etwa schon der Hecht am jagen? Die Zeit war richtig, das Wetter perfekt. Höchste Zeit, einmal nach den Angeln zu sehen. Bei der ersten hatte sich nichts getan. Bei der zweiten war die Pose auch noch zu sehen. Lediglich die Schnur hatte sich irgendwie aus dem Clip gelöst... hey, wie kann sich die Schnur von selbst aus dem Clip lösen?!
Nur ein kleiner Adrenalinschub, aber der war deutlich zu spüren! Jetzt war es soweit. Kaum hatte ich das gedacht, fing die Pose auch schon an zu wandern.
Bei der Montage mit dem Doppeldrilling konnte man ziemlich schnell einen Anschlag setzen. Das tat ich jetzt auch. Der Widerstand war enorm und meine alte 4,20er Silstar zeigte eine stattliche Aktion. Wäre die Rollenbremse nicht voreingestellt gewesen, hätte die Schnur sich vielleicht verabschiedet. Jedenfalls sang meine Rolle jetzt das Klagelied der Caprifischer, bis ich sie etwas fester einstellte.
Dann merkte ich, dass da etwas nicht stimmt. Hechte treiben nun mal nicht mit der gleichen Geschwindigkeit vorwärts und Welse gibt es hier nicht, auch wenn mancher Stammtischangler sicher etwas anderes behauptet.
Der Protest ließ langsam nach und ein alter Jutesack kam zum Vorschein. Mist! - Die schöne große Rotfeder war verschwunden.

Auf dem Weg zurück zum Köderfischeimer schaute ich noch einmal zu der Angel, die ich im Hafenbecken platziert hatte. Ich legte die alte Rute beiseite und fing an die große rot-gelbe Pose zu suchen. Diesmal war ich mir sicher. Meine Pose war komplett verschwunden! Das Dumme war nur, dass ich nicht wusste, wo sie war und wie lange sie sich schon unter Wasser befand. Allerdings konnte ich jetzt sehen, wie sich die Schnur von links nach rechts bewegte. Dann kam auch die Pose langsam nach oben. Sie schoss unter der Wasseroberfläche entlang und ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. Den Jutesack möchte ich mal sehen, der das kann! Höchste Zeit, den Anschlag zu setzen, um zumindest einen der beiden Drillingshaken im Maul des Räubers zu verankern.

Jetzt begann ein heißer Ritt! Der Haken hatte ihm nicht geschmeckt. Wie um dies zu bestätigen, schoss er jetzt mit seiner ganzen Pracht aus dem Wasser und tanzte ChaChaCha auf seiner Schwanzflosse. Ein beeindruckender Anblick. Als nächstes schwamm er unter einem Bootssteg durch. Das hatte mir gerade noch gefehlt - dabei war ich wirklich kein Mensch für Frühsport. Ich legte mich flach auf den Steg, und reichte die Angel mit der rechten Hand drunter durch, um sie mit der linken entgegenzunehmen. Hoffentlich hatte das niemand gesehen, denn das sah garantiert zum Schiessen aus. Das würde wieder eine der Geschichten werden, die einem keiner abkauft. Wäre Helmut bloß mitgekommen. Für so was braucht man einfach einen Zeugen. Jetzt musste ich den Burschen nur noch keschern. Es war zwar kein Goliath, aber dafür wehrte er sich wirklich mit aller Kraft. Ein paar Minuten später lag ein Hecht von 63cm Länge im Gras. Der Tag war gerettet.

Ich lief zu den anderen Angeln, um sie zu kontrollieren. Die Posen lagen unverändert, deshalb lief ich zurück, um die alte Silstar wieder mit einer Rotfeder zu bestücken. Der Hecht lag noch immer im Gras, aber was war das?! Die Farbe hatte sich verändert. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Hecht hatte einen goldenen Schimmer bekommen. Er sah plötzlich etwas gelblich aus. Als das erste Staunen vorbei war, musste ich schmunzeln, weil ich mich in diesem Moment fragte, ob es in China wohl auch solche Hechte gäbe. Oder hatte er etwas wie Gelbsucht? Ausgeschlossen!!!
Hechte kriegen nun mal keine Gelbsucht. Ich schaute ihn noch eine ganze Weile an. Der gold-gelbe Schimmer auf seinen Schuppen hielt nicht lange an, dafür aber die Erinnerung an einen der schönsten Angeltage, die ich bislang erlebt hatte...
Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.

Salvador Dalí (1904-89), span. surrealist. Maler

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Der goldene Hecht

Beitrag von Harry1 » 04 Dez 2005 23:51

Hmm, es macht Spaß deine Angelgeschichten zu lesen Garnele, die sind immer so praxisnah. [img]images/smiles/icon_cool.gif[/img]

Nicht das ich jetzt kritisieren will, ich frage mich nur wie es ein 63cm Hecht vermag die Bremse so stark zu strapazieren, das der Hecht durch einen Bootssteg fliehen kann.

Vielleicht hat der Hecht ja vorher Powerbait geschluckt. [img]images/smiles/icon_smile.gif[/img]
mfG. Harry1

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Beitrag von Jondalar » 06 Dez 2005 02:59

Egal warum auch immer die Bremse zu singen begann ist mir völlig wurscht. Bei so einer Geschichte da juckt es doch einem gleich wieder in den Fingern und man möchte am liebsten ans Wasser.
Super Story Garnele.
Grüsse von der Donau

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